- Einführung II-
Helen Abbott, Vallejo, March 2000

Einführung II

in die Jack London Familie
von Helen Abbott,
Red. Tarnel Abbott
übersetzt von R. Wissdorf und Martin Driessen

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Als ich Bart Abbott, das einzige Kind von Joan London heiratete, wurde ich dadurch 24 Jahre lang (bis zu ihrem Tod im Jahre 1971) ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens.

Der zweite Weltkrieg war gerade qualvoll zu Ende gegangen. Im Channel Heights Housing Projekt in San Pedro (Kalifornien) wurde gerade das militärische Arsenal geräumt; in den Straßen stapelten sich Landungsboote und armeegraue Metallkisten mit unbekanntem Inhalt. Chaos war an der Tagesordnung, so wie es schon den ganzen Krieg hindurch gewesen war. Jetzt kam für viele Bewohner des Housing Projektes die Zeit, in ihre Heimat zurückzukehren, nach Norden, Süden, Osten, Westen; in den Mittelwesten oder den Südwesten. Barts Zuhause war Berkeley, Kalifornien. Also gingen wir nach Berkeley, wo ich Joan London kennenlernte, Barts Mutter und demnächst meine Schwiegermutter. Sie hatte mir geschrieben und uns für ein paar Tage zu sich nach Hause eingeladen, um mich kennenzulernen. Ich muß gestehen, daß ich ziemlich aus der Fassung war. Ich war im Begriff die Tochter meines Idols Jack London kennen zu lernen, dessen Buch mit Essays "Revolution" mich im Alter von 12 zu einer lebenslangen Sozialistin und Revolutionärin machte.

Als Bart und ich am Camino Royal 17 ankamen und zum Haus hinaufgingen, schlugen uns laute Musik und geselliger Lärm aus der offenen Haustür entgegen. Ich werde das Bild, das sich mir durch die offene Tür bot nie vergessen: eine hochgewachsene Frau, die mit großer Anmut eine breite, mit Teppich ausgelegte Treppe hinabstieg, eine Hand am Geländer, die andere zum Gruß erhoben, von einer solch überwältigenden Ausstrahlung, daß sich mir der Vergleich mit den Göttinnen der Leinwand aufdrängte, seien es die der Mal- oder die der der Filmkunst; mit Schauspielerinnen wie Tallulah Bankhead, Jane Russel, Joan Crawford, diese dominierenden Frauengestalten, die selbst starke Männer unterwerfen konnten. Der Gedanke kam mir, daß es durchaus angemessen war, daß eine solch kraftvolle und anmutige Frau am "Königsweg" lebte [Anm. d. Red.: der Straßenname "El Camino Real" ist spanisch für "Königsweg"].

Und wie diese starken und draufgängerischen Frauen näherte sie sich uns mit einem kehligen Lachen, schüttelte Bart kameradschaftlich die Hand, gab ihm einen leichten Schulterstoß und sah ihm dabei aufmerksam ins Gesicht, wie um festzustellen, ob es ihm gut ging oder schlecht; wandte sich mir mit ausgestreckten Händen zu, ergriff meine und zog mich näher an sich heran, um mein Gesicht aus der Nähe zu betrachten. Während ich mich fragte, was sie darin wohl sehen mochte, drehte sie sich zu Bart, immer noch meine Hände festhaltend, sagte "Mein Gott! Was für Augen!", und nickte, um ihrem Einverständnis Nachdruck zu verleihen.Ich hatte die Prüfung bestanden. Ich war akzeptiert.

Und so begann eine 24 Jahre währende Familienreise. Ich würde sagen, sie hatte mehr von einem Ritt auf einem Meteor, als von einer beschaulichen Kreuzfahrt auf dem "Good Ship Lolllipop"(1). Kurz nach dieser ersten Begegnung mit Joan wollte Bart mich seiner "Nana" vorstellen; seiner Großmutter Bessie Maddern London, Jack Londons erste Ehefrau und Mutter seiner beiden Kinder, Joan und Bess (die sich später Becky nannte).

Man hatte mir gesagt, daß "Nana" einen Schlaganfall erlitten hatte und im "Kings Daughters Home"- Krankenhaus am Broadway lag, nahe MacArthur Boulevard in Oakland. Ich war nicht über ihren Zustand im Bilde und stellte mir eine freundliche Großmutter vor, die der bevorstehenden Hochzeit ihres Enkels mit mir ihren Segen geben würde.

Der Schock, ein längliches, in Tücher gehülltes unbewegliches Bündel auf einem schmalen Krankenhausbett liegen zu sehen, ließ mich in Sprachlosigkeit erstarren, bis Bart mich ihr als seine Braut vorstellte. Ich konnte immer noch nicht sprechen. Bart kniete neben dem Bett und streichelte ihr trauriges Gesicht, während er ihr erklärte, welche Wendung sein Leben genommen hatte. Ich trat näher, als er mich heranwinkte, da sie nicht einmal in der Lage war, ihren Kopf zu bewegen.

Ich beugte mich vor, um ihr ins Gesicht sehen zu können, und sah das ganze Dasein darin offenbart; ein heiteres und gelassenes Gesicht, große leuchtende Augen, haselnußfarben, glaube ich, braun mit hellgrünen und goldenen Flecken. Die Seele dahinter nach meiner Seele suchend, sie findend...Seelengefährten. Sie starb im selben Jahr, am 7. September 1947. In späteren Jahren sollte ich es sein, der sie gegen die brutalen Attacken inkompetenter Historiker verteidigen würde. Es ist wohl das Schicksal einer verlassenen Frau, den Schmähungen sogenannter Experten ausgesetzt zu sein.

Nach dem Tod ihrer Mutter, vermietete Joan den Hauptteil des großen, zweistöckigen, braun-geschindelten Hauses und zog selbst in ein höher gelegenes Cottage mit einem einzigen geräumigen Zimmer, durch einen langen schmalen Raum mit hohen, der Sonne zugewandten Fenstern mit dem Hauptgebäude verbunden: dies war das Gewächshaus, denn Joan war bis zuletzt eine passionierte Gärtnerin.

Das große Haus wurde während ihrer Ehe mit Barney Mayes, ihrem dritten Ehemann, erworben. Die Ehe erwies sich als eine stürmische, trotz politischer und beruflicher Gemeinsamkeiten. Beide waren Sozialisten und Gewerkschaftsaktivisten. Während der großen Unruhen der 30er Jahre, als die Gewerkschaftsbosse(2) sich die Vorherrschaft streitig machten, waren Joan und Barney so stark involviert daß sie, um ihr Leben fürchtend, einen schwerbewaffneten Ex-Sträfling als Leibwächter anheuerten. Sie hatten eine umstrittene Zeitschrift mit dem Namen THE VOICE OF FEDERATION herausgegeben. Barney hatte einen Roman mit dem Titel EMBARCADERO über die großen Streiks geschrieben, allerdings unveröffentlicht. Sie trennten sich in gutem Einvernehmen. Barney überschrieb das große Haus Joan, die sich nicht in der Lage sah, die Hypothek abzulösen.

Nach der Scheidung ließ Joan sich für eine kurze Zeit - aus für ihre Freunde unverständlichen Gründen - auf einen jungen Studenten der Kunsthochschule von Oakland ein, der jüngere Bruder einer ihrer Freundinnen. Anscheinend war es eine Affaire. Während dieser kurzen Beziehung kam es zu gewalttätigen Ereignissen. Joan erlitt derart schwere Gesichtsverletzungen, daß die Symmetrie von Nase, Stirn und Mund für immer beeinträchtigt blieben. Doch sie war keine nachtragende Natur, so daß wir nie mit Sicherheit erfahren werden, wer oder was dieses Katastrophe verursacht hat. Sie behauptete immer, es sei ein Verkehrsunfall gewesen, den sie selbst verschuldet hätte.

Wie auch immer, die Beziehung endete, und Joan zog in ihr kleines Cottage. Nach einer gebührenden Zeitspanne nach dem Tod ihrer Mutter, erschien eine Gestalt aus der Vergangenheit als Freier an ihrer Cottage-Tür: Charlie Miller, der einst in den Krieg gezogen, und 20 Jahre lang verschollen war.



1. [ein beliebtes, sentimentales Kinderlied, gesungen von Shirley Temple]

2.
[Im Original: Pie-Cards. In diesem Zusammenhang, erzählte mir die Autorin, hiermit seien die Gewerkschaftsbosse gemeint, die oberen Ränge innerhalb der gewerkschaftlichen Machtstruktur. Eine weitläufigere Definition ist: pie-card; ein gewerkschaftlicher Mitgliedsausweis den man einem Fremden, der ebenfalls Gewerkschaftsmitglied ist, zeigt, um von diesem Geld, Obdach, eine warme Suppe oder ähnliches zu erhalten-- Landstreicherbrauch ca. 1925. Nach dem "Dictionary of American Slang" von Harold Wentworth und Stuart Berg Flexner, 2. Auflage, Crowell, 1975]
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