|
|
Als
ich Bart Abbott, das einzige Kind von Joan London heiratete, wurde ich
dadurch 24 Jahre lang (bis zu ihrem Tod im Jahre 1971) ein wichtiger
Bestandteil ihres Lebens.
Der zweite Weltkrieg war gerade qualvoll zu Ende gegangen. Im Channel
Heights Housing Projekt in San Pedro (Kalifornien) wurde gerade das
militärische Arsenal geräumt; in den Straßen stapelten
sich Landungsboote und armeegraue Metallkisten mit unbekanntem Inhalt.
Chaos war an der Tagesordnung, so wie es schon den ganzen Krieg hindurch
gewesen war. Jetzt kam für viele Bewohner des Housing Projektes
die Zeit, in ihre Heimat zurückzukehren, nach Norden, Süden,
Osten, Westen; in den Mittelwesten oder den Südwesten. Barts Zuhause
war Berkeley, Kalifornien. Also gingen wir nach Berkeley, wo ich Joan
London kennenlernte, Barts Mutter und demnächst meine Schwiegermutter.
Sie hatte mir geschrieben und uns für ein paar Tage zu sich nach
Hause eingeladen, um mich kennenzulernen. Ich muß gestehen, daß
ich ziemlich aus der Fassung war. Ich war im Begriff die Tochter meines
Idols Jack London kennen zu lernen, dessen Buch mit Essays "Revolution"
mich im Alter von 12 zu einer lebenslangen Sozialistin und Revolutionärin
machte.
Als Bart und ich am Camino Royal 17 ankamen und zum Haus hinaufgingen,
schlugen uns laute Musik und geselliger Lärm aus der offenen Haustür
entgegen. Ich werde das Bild, das sich mir durch die offene Tür
bot nie vergessen: eine hochgewachsene Frau, die mit großer Anmut
eine breite, mit Teppich ausgelegte Treppe hinabstieg, eine Hand am
Geländer, die andere zum Gruß erhoben, von einer solch überwältigenden
Ausstrahlung, daß sich mir der Vergleich mit den Göttinnen
der Leinwand aufdrängte, seien es die der Mal- oder die der der
Filmkunst; mit Schauspielerinnen wie Tallulah Bankhead, Jane Russel,
Joan Crawford, diese dominierenden Frauengestalten, die selbst starke
Männer unterwerfen konnten. Der Gedanke kam mir, daß es durchaus
angemessen war, daß eine solch kraftvolle und anmutige Frau am
"Königsweg" lebte [Anm. d. Red.: der Straßenname "El Camino
Real" ist spanisch für "Königsweg"].
Und wie diese starken und draufgängerischen Frauen näherte
sie sich uns mit einem kehligen Lachen, schüttelte Bart kameradschaftlich
die Hand, gab ihm einen leichten Schulterstoß und sah ihm dabei
aufmerksam ins Gesicht, wie um festzustellen, ob es ihm gut ging oder
schlecht; wandte sich mir mit ausgestreckten Händen zu, ergriff
meine und zog mich näher an sich heran, um mein Gesicht aus der
Nähe zu betrachten. Während ich mich fragte, was sie darin
wohl sehen mochte, drehte sie sich zu Bart, immer noch meine Hände
festhaltend, sagte "Mein Gott! Was für Augen!", und nickte, um
ihrem Einverständnis Nachdruck zu verleihen.Ich hatte die Prüfung
bestanden. Ich war akzeptiert.
Und so begann eine 24 Jahre währende Familienreise. Ich würde
sagen, sie hatte mehr von einem Ritt auf einem Meteor, als von einer
beschaulichen Kreuzfahrt auf dem "Good Ship Lolllipop"(1).
Kurz nach dieser ersten Begegnung mit Joan wollte Bart mich seiner "Nana"
vorstellen; seiner Großmutter Bessie Maddern London, Jack Londons
erste Ehefrau und Mutter seiner beiden Kinder, Joan und Bess (die sich
später Becky nannte).
Man hatte mir gesagt, daß "Nana" einen Schlaganfall erlitten hatte
und im "Kings Daughters Home"- Krankenhaus am Broadway lag, nahe MacArthur
Boulevard in Oakland. Ich war nicht über ihren Zustand im Bilde
und stellte mir eine freundliche Großmutter vor, die der bevorstehenden
Hochzeit ihres Enkels mit mir ihren Segen geben würde.
Der Schock, ein längliches, in Tücher gehülltes unbewegliches
Bündel auf einem schmalen Krankenhausbett liegen zu sehen, ließ
mich in Sprachlosigkeit erstarren, bis Bart mich ihr als seine Braut
vorstellte. Ich konnte immer noch nicht sprechen. Bart kniete neben
dem Bett und streichelte ihr trauriges Gesicht, während er ihr
erklärte, welche Wendung sein Leben genommen hatte. Ich trat näher,
als er mich heranwinkte, da sie nicht einmal in der Lage war, ihren
Kopf zu bewegen.
Ich beugte mich vor, um ihr ins Gesicht sehen zu können, und sah
das ganze Dasein darin offenbart; ein heiteres und gelassenes Gesicht,
große leuchtende Augen, haselnußfarben, glaube ich, braun
mit hellgrünen und goldenen Flecken. Die Seele dahinter nach meiner
Seele suchend, sie findend...Seelengefährten. Sie starb im selben
Jahr, am 7. September 1947. In späteren Jahren sollte ich es sein,
der sie gegen die brutalen Attacken inkompetenter Historiker verteidigen
würde. Es ist wohl das Schicksal einer verlassenen Frau, den Schmähungen
sogenannter Experten ausgesetzt zu sein.
Nach dem Tod ihrer Mutter, vermietete Joan den Hauptteil des großen,
zweistöckigen, braun-geschindelten Hauses und zog selbst in ein
höher gelegenes Cottage mit einem einzigen geräumigen Zimmer,
durch einen langen schmalen Raum mit hohen, der Sonne zugewandten Fenstern
mit dem Hauptgebäude verbunden: dies war das Gewächshaus,
denn Joan war bis zuletzt eine passionierte Gärtnerin.
Das große Haus wurde während ihrer Ehe mit Barney Mayes,
ihrem dritten Ehemann, erworben. Die Ehe erwies sich als eine stürmische,
trotz politischer und beruflicher Gemeinsamkeiten. Beide waren Sozialisten
und Gewerkschaftsaktivisten. Während der großen Unruhen der
30er Jahre, als die Gewerkschaftsbosse(2)
sich die Vorherrschaft streitig machten, waren Joan und Barney so stark
involviert daß sie, um ihr Leben fürchtend, einen schwerbewaffneten
Ex-Sträfling als Leibwächter anheuerten. Sie hatten eine umstrittene
Zeitschrift mit dem Namen THE VOICE OF FEDERATION herausgegeben. Barney
hatte einen Roman mit dem Titel EMBARCADERO über die großen
Streiks geschrieben, allerdings unveröffentlicht. Sie trennten
sich in gutem Einvernehmen. Barney überschrieb das große
Haus Joan, die sich nicht in der Lage sah, die Hypothek abzulösen.
Nach der Scheidung ließ Joan sich für eine kurze Zeit - aus
für ihre Freunde unverständlichen Gründen - auf einen
jungen Studenten der Kunsthochschule von Oakland ein, der jüngere
Bruder einer ihrer Freundinnen. Anscheinend war es eine Affaire. Während
dieser kurzen Beziehung kam es zu gewalttätigen Ereignissen. Joan
erlitt derart schwere Gesichtsverletzungen, daß die Symmetrie
von Nase, Stirn und Mund für immer beeinträchtigt blieben.
Doch sie war keine nachtragende Natur, so daß wir nie mit Sicherheit
erfahren werden, wer oder was dieses Katastrophe verursacht hat. Sie
behauptete immer, es sei ein Verkehrsunfall gewesen, den sie selbst
verschuldet hätte.
Wie auch immer, die Beziehung endete, und Joan zog in ihr kleines Cottage.
Nach einer gebührenden Zeitspanne nach dem Tod ihrer Mutter, erschien
eine Gestalt aus der Vergangenheit als Freier an ihrer Cottage-Tür:
Charlie Miller, der einst in den Krieg gezogen, und 20 Jahre lang verschollen
war.
1.
[ein beliebtes, sentimentales Kinderlied, gesungen von Shirley Temple]
2. [Im Original: Pie-Cards. In diesem Zusammenhang, erzählte
mir die Autorin, hiermit seien die Gewerkschaftsbosse gemeint, die oberen
Ränge innerhalb der gewerkschaftlichen Machtstruktur. Eine weitläufigere
Definition ist: pie-card; ein gewerkschaftlicher Mitgliedsausweis
den man einem Fremden, der ebenfalls Gewerkschaftsmitglied ist, zeigt,
um von diesem Geld, Obdach, eine warme Suppe oder ähnliches zu erhalten--
Landstreicherbrauch ca. 1925. Nach dem "Dictionary of American Slang"
von Harold Wentworth und Stuart Berg Flexner, 2. Auflage, Crowell, 1975]
|