Am
Anfang war die Kartoffel
Niemand
wird diese Szene je vergessen: Raimund Harmsdorf, alias Wolf Larsen betritt
Mugridge's Kombüse, greift sich eine der Kartoffeln, die van Weyden
gerade schält und zerdrückt sie mit der bloßen Hand. Und
die Frage, ob die Kartoffel denn nun roh oder gekocht war, beschäftigte
anderntags die gesamte Nation. Wer sich mit Film auch nur im mindesten beschäftigt
hat, dem dürfte klar sein, daß die Kartoffel in jedem Fall gekocht
war, denn kein Regisseur würde ein so dummes Risiko eingehen. In zahllosen
Fernsehauftritten hat Darsteller Raimund Harmsdorf dann aber bewiesen, daß
er durchaus fähig war, auch eine rohe Kartoffel auf diese Weise zu
pürieren. Doch war das bei weitem nicht die einzige Szene, die den
Erfolg dieser ungewöhnlichen Verfilmung ausgemacht hat. Der Seewolf
war seinerzeit ein Straßenfeger mit einer "Traumquote",
wie man in der heutigen Medienwelt sagen würde. Der Vierteiler wurde
bislang am häufigsten wiederholt, in verschiedene Sprachen übersetzt
und schaffte es in einer gekürzten Fassung sogar ins Kino.
Das
Drehbuch: Konglomerat oder Alchemie?
Die
erfolgsträchtige Geschichte begann schon mit der Konzeption des
Drehbuchs. Walter Ulbrich, auch "Vater der Adventsvierteiler"
genannt, kam eines Tages auf die Idee, das Medium Fernsehen mit seinen
ungeahnten Möglichkeiten am Schopf zu packen und Weltliteratur
umzusetzen. Hier kam ihm zugute, daß man nun einen für eine
90-minütige Kinofassung zu langen Stoff in vier Folgen verpackt
in voller Bandbreite dem Publikum zugänglich machen konnte. Gerade
deshalb war diese bisher so einzigartige Werkstreue überhaupt möglich.
Neben so unsterblichen Klassikern wie "Die Schatzinsel", "Die
geheimnisvolle Insel", "Der Lederstrumpf" und "Die
Abenteuer des David Belfour" lag Walter Ulbrich als eingefleischtem
Jack London Fan und Kenner vor allem der "Seewolf" am Herzen.
Eigentlich hatte er ja immer "Ein Sohn der Sonne" verfilmen
wollen, scheiterte aber am episodenhaften Charakter dieser Erzählungen,
brachte dann aber immerhin das Kunststück fertig Edward Grief mit
van Weyden zu verschmelzen. Auch Ulbrich war von Beginn an klar, daß
mit dem Ursprungsroman allein kein Staat zu machen war - zu sehr knickt
die Handlung im letzten Drittel ab. Deshalb
entschloss er sich in einer Art Exegese aller London-Romane, die Charakter
und Erzählstränge zu vermengen. Entgegen allen früheren
und späteren Drehbuchautoren nahm er keine willkürlichen Eingriffe
in den Originaltext vor, sondern bediente sich allein beim Autor selbst,
bis hin zur Übernahme von Originaldialogen und Erzähltexten
in das Script. Im ersten Teil noch stark am Original-Seewolf orientiert,
weicht er schon im zweiten Teil stark ab und erfindet eine Jugendfreundschaft,
die zwischen Larsen und van Weyden bestanden haben soll. Hier zitiert
er "Joe unter den Piraten" und später "Abenteurer
des Schienenstranges". In den späteren Folgen kommen dann
die Erzählungen "Liebe zum Leben", "Ein Sohn der
Sonne", "Aloysius Pankburns wunder Punkt", sowie "Eine
kleine Abrechnung mit Swithin Hall" zum Einsatz. Dazwischen wird
sogar Jack Londons eigene Biographie "König Alkohol"
zitiert. Und teilweise seitenlang im Text übernommen. Ulbrich gelingt
hier eine Art alchemistischer Vereinigung vieler London-Texte und ermöglicht
so dem Zuschauer eine Reise durch die verschiedenen Seiten des Autors.
Darsteller
und Regie: Kumpels auf See.
Raimund Harmsdorf war Regisseur Wolfgang Staudte eigentlich zu jung für
die Rolle, überzeugte aber dann doch durch seine außergewöhnliche
Präsenz. Edward Meeks war schon zuvor durch einige Abenteuerfilme aufgefallen
und so was wie der Star der Serie. Worin er allerdings schnell durch Harmsdorf
abgelöst wurde. Raimund Harmsdorf gab den bisherigen Filmlarsens das,
was gefehlt hatte: Kraft, Brutalität und Charme. Unvergessen sein Auftritt
als erblindeter Larsen, der dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren
liess. Leider ist aus Harmsdorf nicht der gefeierte Dauerstar geworden;
Es gab zwar noch einen sehr starken Part als Michail Strogoff in "Der
Kurier des Zaren" und einige nette Rollen in weiteren Jack London Verfilmungen
wie "Der Ruf der Wildnis" aber der Rest war Schweigen. Bis auf
ein paar Ohrfeigenparts in Bud Spencer und Terence Hill Filmen wurde es
sehr still um den Star. Bis er dann vor einigen Jahren Selbstmord beging.
Als Regisseur verpflichtete Autor und Produzent Walter Ulbrich den TV-Routinier
Wolfgang Staudte. Staudte fand es nach eigener Aussage "fabelhaft,
mit den Kumpels rauszufahren und zu warten, bis ein Sturm kommt". Und
an die Szenen mit dem Schienenstrang erinnert er sich: "Das haben die
fabelhaft gebaut. Und es war heiß, die Sonne schien, es waren vierzig
Grad. Die Natur hat auch so schön mitgespielt: das machte eben alles
Spaß." Staudte drehte einige Jahre später noch den Vierteiler
"Lockruf des Goldes" gleichfalls mit Ulbrich als Produzenten.
1984 erlag er einem Herzinfarkt.
Reinhard Wissdorf
1999
Filmdaten:
Titel: Der Seewolf - Fernsehfilm in vier Teilen nach Jack London
1. Teil: Ein seltsames Schiff: 88'17 Min.
2. Teil: Kurs auf Uma: 96'59 Min.
3. Teil: Das Land der kleinen Zweige: 88'11 Min.
4. Teil: Die Suche nach einer verlorenen Insel: 89'25 Min.
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